Der Gott atmet in den Leib des Mannes
den Geist ein. In den Mund hinein. Eben
nur durch diesen Satz konnte ich mir einst die Substantive männlichen
Geschlechts merken, als ich mich an der Uni mit dem Thema „Pluralbildung
deutscher Substantive“ gequält habe. Also sollten als Ausnahmen „Gott“,“Mund“,
„Leib“, „Mann“, „Geist“ gespeichert werden. Die bilden den Plural anders als
Maskulina es sonst tun. Na ja…manches männliches duldet keine gebahnten Wege.
Wie auch die Künstler, seien sie aus Deutschland oder Sibirien. Künstler sind
eigentliche nur die, die eben keine gebahnten Wege gehen, sondern ihre eigenen
Spuren hinterlassen.
Danila Menschikow, ein Maler aus
Nowosibirsk, hat es geschafft, sehr viele Wege gegangen zu sein. Mal als raffinierter
Maler im zentrumsnahen Atelier, das er von seinem Vater, einem bekannten Nowosibirsker
Bildhauer übernommen hat. Mal als Handwerker. Mal als ein konservativer
Romantiker. Mal als ein richtiger Sibirjak, der in seinem Landeshaus zu tüfteln
versteht, in einem gottverlassenen Dorf, 100 km von Nowosibirsk entfernt. Mal als Lehrer. Danila ist vieles
auf einmal. Ein Pluraliatantum. Und
nichts widerspricht sich, sondern umgekehrt, es entsteht ein Ganzes, dadurch,
dass sich Gegensätze ziehen. Typisch russisch.
Der Handwerker
Bei Frage Handwerk muss man
aufpassen, dass man sicher nicht bei billigem Volkskitsch landet, der einem
Ausländer, der in Moskau durch die Arbat-Straße pendelt, als nette Volkskunst vorkommen kann.
- Sibirische oder russische
handwerkliche Techniken, das Handwerk und die Kunst sind drei unterschiedliche
Sachen, so Danila. Das Handwerk ist eigentlich die Fertigkeit, jeweilige
Werkzeuge ideengemäß einzusetzen. Wenn dabei hohe Vibrationen des menschlichen Geistes im
Spiel sind, die auch einen anderen berühren, so ist es schon Kunst. Die Kunst
ist halt die höchste Stufe des Handwerkes, sagt der Maler.
Und was ist nun mit der russischen Volkskunst?
Mit all dem, was als „russische Volkskunst“ in Souveniersläden verkauft wird?
Die wären eine falsche Adresse, denn das Echte ist nicht zu kaufen oder zu
verkaufen. Die russische oder auch sibirische Volkskunst ist im Märchen, Sagen,
Liedern zerstreut, die einst Danila für eine Reihe Illustrationen inspiriert
haben.
Der Maler, aber kein sibirischer
Danila Menschikow betont, er sei
kein sibirischer Maler, aber ein russischer. Die Kunst ist eigentlich das, was einerseits
subjektiv und andererseits international
ist, sie kennt kein Deutsch oder Russisch. Das Subjektive bei der Kunst ist
nämlich der Blick des Malers, der auf etwas gerichtet ist, was die anderen
nicht sehen. Wie im berühmten Kinderspiel. Danila sieht alltägliche Dinge
anders, ihre Magie ist auch auf den Bildern zu spüren.
Und das Entstellte drauf
ist nicht gleich das Entstellte, sondern die Einzigartigkeit des Blickwinkels
des Malers. Danila malt gerne Frauen mit langen Hälsen und unmöglichen Hüten,
weil er als Maler das Recht auf einen Fehler hat, der in der Kunst nicht gleich
der Fehler ist, sondern eben die Handschrift, die Art und Weise zu malen. Wie
es El Greco, Vincent van Gogh, Picasso, Velázquez,
Francisco de Goya mal gewagt haben, anders zu malen als es üblich war. Die
alle, samt Da Vinci, waren und sind ein Vorbild für Danila. Der technische
Fortschritt des 20-21.Jahrhunderts beindruckt zwar, aber die Errungenschaften
des menschlichen Geistes sind in der Antike, in der Renesaince zurückgeblieben.
Der konservative Romantiker
Diese langen Hälse kommen aus der
europäischen Gotik mit ihren Türmern, aus dem anderen Leben, aus der anderen
Welt, die für einen sowjetischen Durchschnittsmann unmöglich weit und
unerreichbar waren. Wenn man hinter dem Eisernen Vorhang groß wird und Europa
aus Romanen von Alexandre Dumas, aus Legenden über Till Eulenspielgel kennt,
aus Bildern von Dürer und Leonardo da Vinci, so bleibt man diesen Gestalten
treu, wenn die auch in Europa selber keine Vorbilder mehr sind.
Europa, wie es vor Nitzsches „Gott ist tot“ war, lebt weiter im Gedanken-
und Kulturgut der russischen Intelligenzija, die sich nach wie vor an die
Renaissance, Antike orientiert, an diese Wiege des menschlichen Geistes. In russischen Fachschulen und Fachhochschulen
für Kunst stehen immer noch die Titanen der Renaissance als Vorbild, eben als
Denkmäler der Errungenschaften des menschlichen Geistes.
- Auf die zu verzichten und die
Kunst auf neuem Boden zu schaffen heißt ein wandelnder Komet zu sein, der keine
Heimat kennt. Wie die gegenwärtige europäische Kunst, die sich komischerweise
Kunst nennt. Es ist aber keine. Bloß kreatives Schaffen, dessen Reiz schnell
vergeht und kaum in die Ewigkeit durchsickert, so Danila.
Kein zeitgenössischer Künstler
Zeitgenössische Kunst sei für Danila
ein Schimpfwort. Bei der Kunst geht es ums schöpferische Schaffen. Die
zeitgenössische Kunst wie bei Bruce
Nauman sei vor allem Ungeheuerlichkeit und Vernichtung. Die Maler in den
20-60-ern des 20.Jahrhunderts konnten sich leisten, das Publikum zu
schockieren, aber im 20.Jahrhundert hat sich die Anzahl der Menschen vervierfacht,
es sind jetzt gute 6 Mrd auf der Erde. Das Ungeheuerliche kommt nicht mehr an.
Die Renaissance verberge das Traditionelle,
im Nachhinein wurde es nur noch nach Schattierungen
gesucht.
Die gegenwärtige Kunst, das, was
sich als solche nennt, das Meiste davon, sei halt ein anderer Zweig, kein Erbe
der großen Epoche.
Viele russische Künstler, eher aber nicht die russische Avantgarde, dafür aber hätten alles sorgfältig gesammelt, denn diese
Orientierung an die Renaissance war mehr als nur die Kunst.
Das war für einen durchschnittlichen
sowjetischen Menschen die Möglichkeit aus dem Realismus in die andere Welt zu
fliehen oder eine zu schaffen.
Deshalb versteht sich ein Künstler immer als ein
Schöpfer. Ein Bild zu malen heißt zu schaffen. Eine künstlerische Performance,
wenn ein Haus abgerissen wird, heiße Vernichtung und in diesem Sinne keine
Kunst, da kein Schaffen. Das ähnelt eher einem Vandalenakt. Und der Vandalismus
kommt aus der städtischen Kultur. Aus der Sehnsucht nach Freiheit und viel
Bewegung. Wenn man in so einer Stadt wie Nowosibirsk lebt, ist man schon ein
Städter, der aber kurz und schnell ins Dorf fliehen kann und der Natur nah zu
sein.
Der Sibirjak und der Dorfbewohner
- Die Kunst an sich sei das Kind der
Zivilisation, so Danila.
Es ist eine Art Ersatz der Natur, ein tiefgefrorenes
Stück der Harmonie, das Wenige davon, was im städtischen Leben zugänglich ist.
Im Dorf ist die auf Schritt und Tritt zu treffen. Da kann einer damit jederzeit
liebäugeln. Wenn Danila ins Dorf fährt, um sich vom städtischen Trubel zu
erholen, so tüftelt er da gerne, macht das, was ein echter Mann auf dem Lande
zu erledigen hat. Das Leben auf dem Lande bietet schon viele Möglichkeiten, Tag
für Tag schöpferisch zu bleiben, etwas zu errichten und aufzubauen. Das ist im
Blut des Menschen. Bloß das städtische Leben zwingt uns zu nichts zu tun und
das verletzt das innere Bedürfnis des Menschen zu schaffen, sich zu bewegen.
Daher kommen viele Vandalenakte und Perfomances. Es ist bloß so, dass Danila
Menschikow in seinem Dorf Abraschino am
Ob-Stausee, bald sein Atelier vermisst. Ein Traum, ein ganzes Jahr durch auf
dem Lande zu leben kommt und kommt nicht in Erfüllung, denn auch bei einem
Künstler gilt es, den Regeln der Gesellschaft zu folgen, in der Geben und
Nehmen ein Gleichgewicht haben sollten.
Der Lehrer
Das beeinflußt einen sehr, wenn er
zwischen der Hauptstadt Sibiriens und einem weitgelegenen Dorf lebt,
fortgeschrittene Maltechniken anwendet, um Gestalten der Renaissance neu zu
interpretieren. Wenn man noch als Kind als Andersdenker in der sowjetischen
Schule getadelt wird und Jahre danach sieben Tage der Erschaffung der Welt
darstellt.
Wenn man als ein Sibirjak in
Spanien plötzlich versteht, dass Meer, Küste, Spanisch irgendwie vertraut vorkommen,
wenn man dabei auch mitten im Schneewald beim ersten Strich des Streichholzes
das Feuer machen kann. Man spürt so deutlich einen starken Geist an Danila.
Heutzutage würde das eher Ausstrahlung heißen. Aber bleiben wir beim Wortschatz
der Antike und Renaissance.
Der Gott hat bestimmt den Geist in den Leib dieses
Mannes eingeatmet. Danila hält in der Hand den Faden, der die alten und neuen
Zeiten verbindet. Und deshalb kann er
nun den anderen beibringen, was das plastische Denken in Kombination mit Wort
ist, wie einer zwischen dem heutigen Alltag und den antiken Idealen nicht
zerrissen wird. Heutzutage fehlt das irgendwie nicht nur unter Künstlern, nicht
nur in Europa. Wäre das nicht der Anlass, nach Nowosibirsk zu kommen?
Am 01.Mai 2014 wird in Wolfenbüttel eine Ausstellung mit Bildern von Danila Menschikow eröffnet.http://www.artgeschoss.com/ausstellung-2014-exhibition-2014/