26.09.12

flash mob auf Nowosibirsker Weise

Am 16.09.2012 war in Nowosibirsk , direkt im Stadtzentrum, am Leniniplatz vor dem Opernhaus ein Flash Mob durchgeführt, organisiert von Staatlichen Akademischen Russischen Folkorenchor Sibiriens. Mehrere Jugendliche, auch die Polizei haben mitgemacht. Zu sehen ist das ganze hier, bei youtube http://www.youtube.com/watch?v=BMRRZyZeM34

15.09.12

Eine Welt dazwischen

     Neben Unterrichten dolmetsche ich ab und zu und immer wieder stoße ich darauf, dass manches nicht zu dolmetschen ist. Es geht dabei nicht darum, dass ich die Vokabeln nicht kenne, sondern eher, dass diese Vokalbeln die Welt beschreiben, die einem Nichtmuttersprachler total fremd ist. Es geht viele Bereiche an. Das kraßeste Beispiel wäre das Verb, das die Tätigkeit beschreibt, wenn man einen in der Banja mit einem Birkenbesen klopft. Ich stottere halt an diesem Verb "klopfen", eben in der Kombination mit "Birkenbesen". Da kann einer denken, das sei doch doof, einen zu klopfen, ist doch kein Teppich der Mensch da. Im Russischen heisst das парить  oder parit, das "t" dabei soll weich ausgesprochen werden, keinesfalls hart. Und dieses "parit" mit dem weichen t gibt es im Russischen zwei Mal, jeweils mit Betonung auf der ersten und auf der zweiten Silbe. Die erste Variante bezeichnet eben die Tätigkeit mit dem Birkenbesen in der Banja. Und die zweite Variante heisst schweben.  Wenn Sie in einer guten Banja sind, einen richitgen Birkenbesen dazu haben, und einen trockenen Dampf,  dann schwebt die Seele, wenn der Körper durchs sanftes bis heftigeres Klopfen mit einem Birkenbesen massiert wird. Es ist viel mehr als nur Schwitzen, Körperpflege. Eine richtige Banja hat wenig mit Körperpflege zu tun, sondern viel mehr mit Seelenspflege, die durch den Dampf mit ätherischen Ölen gereinigt wird, der Körper macht bloß mit, aber nicht umgekehrt. 
   So viel habe ich nun gebraucht, um nur das eine Wort zu beschreiben. Wie viele würde ich brauchen, um zu erklären, was heisst es, Sibirier zu sein, in Sibirien zu leben. Und diese Frage bekomme ich auch öfters zu hören, wie lebt ihr eigentlich hier. Dabei wird meistens die Kälte gemeint und Politik. Tja...an die Kälte ist man gewohnt, wenn man damit aufgewachsen ist. Für -40 habe ich einen guten Mutonpelz, der kein Luxus bei solchen Temperaturen ist, sondern eine Notwendigkeit. 
       Und Politik? Ich weiss nicht, was ich darauf antworten soll. Nicht aus Angst. Sondern weil die Frage an sich irgendwie daneben platzt. Sehr viele Ausländer, nicht nur Deutsche, betrachten Russland durch 2 Ferngläser, und zwar durch Kultur und Politik. (und für Sibirien gibt es eben noch Kälte). Dostojewsky und Tolstoj, Tschajkowsky und Prokofjew sind genial, alle Politiker zu allen Zeiten sind immer autoritär bis diktatorisch. Ich würde aber sagen, wenn jemand wirklich was von Russland und Sibirien verstehen möchte, der sollte sich von diesen zwei Blickwinkeln lösen und lernen, andere Fragen zu stellen, die das Leben eines kleinen Menschen wie mich  und meine Umgebung angehen. Zwischen russischer Klassik und Politik ist eine ganze Welt verborgen, die eigentlich unser wahres Leben ist. Das heisst nicht, dass Tolstoj mir fremd ist, den "Krieg und Frieden " habe ich das erste Mal mit 14 gelesen (das Buch sollte übrigens nicht "Krieg und Frieden" heissen, sondern etwa in der Art "was die Welt zu einem Krieg bewegt", weil das russische мир (mir) im Titel "Война и мир" (Wojna i mir)  zwei Bedeutungen hat, und zwar "Frieden" und "Welt", und Welt kann wiederum als "Erde" und "Menschen" gefasst werden.).  Natürlich steht Dostojewsky in meinem Bücherregal, aber auch Bücher von Evgeny Grischkowetz,  Dina Rubina , Boris Akunin, Dmitry Bykow und vielen anderen gegenwärtigen Schriftstellern. 
     Lieder von Wyssozki und Okudzschawa sind aus dem Leben meiner Eltern und meinen Kindererinnerungen nicht wegzudenken.  Nautilius Pompilius, Alexander Baschlatschow, DDT, Zoi und viele andere haben viel mehr für die Perestrojka geleistet als Gorbatschow, weil sie noch vor der offiziel erklärten Wende in der Politik die Jugendlichen  angesprochen haben, die anders leben wollten als die Generation ihrer Eltern. Und ihre Lieder sind immer noch nicht außer Mode, weil Mode überhaupt ein falsches Wort dazu wäre. Es ist unser Leben in ihren Liedern, das Leben der Generationen, die jetzt 30-40 sind. Und die werden auch von heutigen Jugendlichen gehört und gesungen. 
     Zitate aus Filmen wie Kidnapping, Caucasian Style, Moskau glaubt Tränen nicht , Ironie des Schicksals gehören zu unserem alltäglichen Kulturgut. Es vergeht wirklich kein Tag, dass man das eine oder das andere Zitat nicht zum Hören bekommen. 
      Ich habe nur wenige Beispiele gebracht, um zu zeigen, was meine Welt ist. Ist das, worüber  Akunin schreibt, Politik? Auf den ersten Blick kaum, weil  sich die meisten Handlungen Ende 19. und Anfang 20. Jahrhundert abspielen. Aber ich habe mich nicht gewundert, als ich ihn unter Demonstrierenden im Dezember 2011 in Moskau gesehen habe und ich vesrstehe auch, warum ich ihn nun unter Protestlern nicht sehe. 
In Russland lernt man nicht aus  Nachrichten und Zeitungen. Bei uns lernt man aus unserer Kultur, die  bei Tolstoj, Dostojewsky und Tschechow nicht zu Ende war. Sie schritt weiter und voran, bloß war das der Eiserne Vorhang, der uns vor der ganzen Welt getrennt hat. Aber wir haben doch unser Leben gelebt. Schriftsteller, Regisseure, Musiker, Sänger haben sich halt eine Art und Weise angeeignet, sich so auszudrücken, dass denkende Leute schon verstehen konnten, was gemeint wird. Wir haben es gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen. Und das kann man sich nicht abgewöhnen, denn diese Zitate vom Schaffen gegenwärtiger Künstler sind mehr als Zeichen der Belesenheit und Informiertheit. Das sind Code-Wörter, durch die man schnell rauskriegen kann, ob der eine oder andere zu deinem Umfeld gehört oder nicht. Ich liebe Nowosibirsk, weil die Stadt genau richtig groß ist, um genung Menschen mit denselben Code-Wörtern zu finden, die nicht klagen,  sondern tun. Und tun heisst schon leben.
       Also, mein guter Tipp an die, die das verstehen möchten, was Russland und Sibirien ist, wäre dann zu lernen, andere Fragen an uns zu stellen, zum Beispiel "Was hat Alexander Baschlatschow gemeint, als er in einem seiner Lieder gesungen hat "ich würde gern in Russland leben, leben und sterben, wenn das Land namens Sibirien nicht da wäre"?" Solche Fragen öffnen eine ganz andere Seite von uns. Und dann hätte ein Ausländer vielleicht eine Chanсe endlich mal Russland zu begreifen, das eigentlich nach Tjuttschew nicht mit Verstand zu begreifen ist. Danach wäre wahrscheinlich Sibirien zu begreifen.
PS Ich hoffe, dass ich in meinem Blog auch genug Gelegenheiten anbiete, zu lernen, andere Fragen zu stellen:))