22.07.13

Deutsche sind die zweitgrößte Nationalität im Gebiet Nowosibirsk

Die letze Volkszählung aus 2010 hat diesen Status der Deutschen wiederum bestätigt. Noch 1989 haben im Gebiet Nowosibirsk über 60 000 Einwohner deutscher Herkunft gelebt. Die waren entweder noch Anfang des 20.Jahrhunderts von der Volga-Region nach Sibirien freiwillig gekommen. Oder auch verbannt. Am 28.August 1941. Heutzutage leben im Gebiet Nowosibirsk 31 000 Deutsche, ein Drittel dabei in der Stadt, die übrigen zwei Drittel im ländlichen Gebiet. So, wie es eigentlich Katharina die Zweite, die Große Katharina, die selber Deutsche war, in ihrem Erlaß vom 22.Juli 1763 gewollt hat. 250 Jahre sind um. Gut, dass es so war. Gut, dass es so ist.

11.07.13

Leiterin des Büros des Goethe-Instituts in Nowosibirsk: Nowosibirsk ist ein Paradies, wenn man eine Mischung aus Dorf und Stadt bekommen möchte

deutsche Nacht im Museum http://vk.com/photo-7237786_304192343

Julia Hanske ist die erste Leiterin des Büro des Goethe-Instituts in Nowosibirsk. Das Büro, das dritte in Russland nach Moskau und Sankt-Petersburg, wurde im März 2009 eröffnet und hat somit viel in die Kulturszene von Nowosibirsk und ganz Sibirien beigetragen. Ich habe fast bei allen Projekten des Goethe-Instituts in Nowosibirsk gedolmetscht und nun trete in einer für Julia neuen Rolle, einer Interviewerin, auf.
-Julia, mit wie vielen Jahren hast du mit Russisch angefangen?
-Muss ich mir selber überlegen….mit 8. Ich bin mit 8 auf die Russischschule gekommen. Bis ich 14 war, habe ich Russisch gelernt. Nach der Wende habe ich mit Französisch angefangen.
- Aus Protest?
-Nein, ich wollte einfach. Ich habe immer gern Russisch gelernt, aber ich wollte auch was anderes lernen. Alle wollten nach Frankreich
- Und Französisch, weil es sooo schön klingt „ich fahre nach Paris“?
- Na ja. Ich habe also Französisch gelernt  und Russisch habe ich wiederum verwendet erst 2001, als ich als Reiseleiterin eine Reisegruppe aus Moskau nach Peking begleiten sollte. Da war ich noch Studentin. Da kam ich erst mal für drei Tage nach Moskau, um die Stadt kennenzulernen, bevor die Gruppe ankommt.  Das war der erste Kontakt zur Sprache nach so vielen Jahren. Und dann kam wieder eine Pause, bis ich 2005 nach Moskau zum Goethe-Institut kam. Und da habe ich angefangen, Russisch schon regelmäßig zu lernen.
- Seitdem bist du der Sprache also ziemlich mächtig. Ich habe dich für mein Interview auch ausgewählt, weil du nicht nur sehr gut Russisch kannst, sondern auch, weil du dich in unserer Kultur auskennst. Ich bin selber eine Art Grenzgängerin, also eine, die an der Grenze zwischen zwei Sprachen und Kulturen ist und sich in beide Richtungen bewegen kann. Es geht dabei wirklich nicht nur darum, dass ich Deutsch sprechen und unterrichten kann, auch bei Bedarf dolmetschen, sondern auch die Kultur vermitteln. Was du eigentlich in Nowosibirsk bisher gemacht hast, liegt eben in diesem Bereich. Für das deutsche „Grenzgänger“ würde ich das russische «пограничник» nehmen, aber nicht in dem Sinne „die Grenze schützen“, sondern „über die Grenzen vermitteln“.
- Stimmt schon. Aber dazu gehört auch eine gewisse Grundsympathie zum Land, Kultur. Da braucht man eine gewisse Toleranz. Natürlich merkt man auch, dass man mit der Zeit an seine Grenzen gerät. Je länger man in einem fremden Ort ist, desto ungeduldiger wird man. Besonders bei Dingen, die man weder verstehen, noch ändern kann. Trotzdem verbindet mich sehr viel mit diesem Land.


- Wann hast du das erste Mal über Nowosibirsk gehört? Als Wort bloß.
- Das erste Mal eben 2005 bei meiner Arbeit beim Goethe-Institut Moskau. Mein erster Job war das Fernstudiumprojekt mit der Uni Kassel, wobei es darum ging, über dieses Projekt Deutschlehrer in ganz Russland weiterzubilden. Als Leiterin des Projekts bin ich viel gereist, in ganz Russland, von 2005 bis 2007 war ich überall: in Blagowetschensk, Abakan, Omsk, Tomsk. Überall, außer Nowosibirsk. Die Reise nach Nowosibirsk war für Mai 2007 geplant, aber dann wurde ich nach Peking versetzt, so dass sie nicht mehr zustande kam. Ich rief dann die Kontaktperson hier vor Ort an und sagte, was man in solchen Fällen eben sagt „es hat diesmal nicht geklappt, aber wir sehen uns bestimmt wieder“, was eigentlich heißen sollte „ garantiert nie“, weil Peking und Nowosibirsk doch auf Strecken liegen, die sich nicht kreuzen.
-Wann hast du denn erfahren, dass du doch nach Nowosibirsk kommst?
- Wie gesagt bin ich 2007 nach Peking gegangen und 2008 rief man mich an und sagte, dass in Nowosibirsk das dritte Büro vom Goethe-Institut eröffnet werden sollte. Man fragte mich, ob ich das machen möchte. Ich habe gleich „ja“ gesagt. Dieser schnelle Beschluss hing aber nicht mit der Stadt zusammen, sondern mit der Aufgabe. Ich habe schon immer geträumt, ein Institut aufzubauen und damit auch Pionierarbeit zu leisten und weil ich Russland schon kenne, ist mir die Entscheidung leicht gefallen.
- In dem du „ja“ zu Nowosibirsk gesagt hast, hattest du irgendeine Vorstellung, was für eine Stadt das ist?
- Ja, ich hatte Kontakte zu den Leuten und ich habe die Stadt auf Bildern gesehen. Sie wirkte sehr grün. Grün, modern, hell, freundlich. Ich hatte den Eindruck, das ist eine sehr energische Großstadt. Im Vergleich zu anderen sibirischen Städten, die doch kleiner sind. Irgendwo anders  wäre ich wahrscheinlich nicht hingegangen.
- Auch nicht wegen der Eröffnung eines neuen Büros?
-Grundsätzlich werden Institute eher in den Metropolen eröffnet. Wenn man mich heute fragen würde, wo sollte in Sibirien ein GI eröffnet werden, dann würde ich antworten „nur in Nowosibirsk“. Ich hatte, wie gesagt, positive Bilder im Kopf. Ich hatte auch in Moskau eine gute Freundin, die  aus Nowosibirsk stammt und hatte also eine wage Vorstellung, was mich hier erwarten könnte.
- Im März 2009 wurde das Büro eröffnet.
- Ja, das ist schon gut 4 Jahre her. Das war ein sehr wichtiger Abschnitt  in meinem persönlichen Leben und natürlich auch für das Goethe-Institut. Ich bin im Februar angekommen, wir hatten nur eine kurze Vorbereitungszeit, um das Eröffnungsfestival Sibstancija auf die Beine zu stellen. Das heißt, meine Moskauer KollegInnen haben schon vieles vorbereitet, so dass ein gutes Fundament bereits vorhanden war.
-Du kamst also im Februar an. Nichts vom Grünen zu sehen.
-Nichts, aber ich weiß noch, wie schön es war. Viel Schnee, dadurch war alles sehr hell. Es wirkte alles sehr sauber. Das hat mich irgendwie positiv gestimmt. Dann kamen März und April, die schwierigsten Zeiten.
-Tja, die muss man aushalten.
- Eben. Nur aushalten. Ich finde es gut, dass ich im Februar gekommen war. Es war zwar kalt, aber ich habe keine Angst vor Kälte. Ich bin eher allergisch gegen Grau, Schmutz und so…Aber April und März sind halt schwierige Phasen in ganz Russland, nicht nur in Nowosibirsk. Auch aus Moskau kenne ich das Phänomen, wenn der Schnee weg ist, und plötzlich alles, aber wirklich alles auf den Straßen liegt. Aber dann kommt relativ plötzlich der Frühling, der Sonnenaufgang. Da reicht die Energie. Da hatten wir viel zu tun wegen der Eröffnung. Im März lag sie hinter uns, sie war sehr erfolgreich, wir hatten viele Kontakte.  Es sollte nun viel los gehen. Da sitzen wir auf der Terrasse nach so vielen Wochen Schnee in der Lenina-Straße, und die Sonne scheint, und ich denke mir „es ist doch ok, ganz gut hier“. Und diese Energie hier kommt wirklich durch den Umschwung. Es gibt Tage, wo ich wirklich Probleme mit dem Klima habe, aber es gibt auch Tage, die man richtig genießen kann. Das können Sibirier irgendwie.
- Das kommt mit der Muttermilch.
-Ja, eben. Dieses Durchhaltevermögen bei den Sibiriern bewundere ich. Weil ich mir selber nicht vorstellen könnte, hier für immer zu leben. Ich glaube, das ist sehr schwierig. Die Leute lassen sich hier durch nichts beeindrucken, klimatisch meine ich. Man meckert nicht. Man macht die Banja an. Unser familiäres Motto hier war, so zu leben, wie die Sibirier leben. Einfach mitzumachen. Jede Jahreszeit hat ihre Besonderheit.
-Das hat dir Nowosibirsk beigebracht.
-Ja, ich sage nicht, dass wir wie die Ureinwohner hier gelebt haben, aber wie normale Nowosibirsker. Das heißt, wir leben mit der Saison. Das heißt zum Beispiel, dass man schon im März Samen in den Boden in den Kisten reintut. Wir haben das auch zwei Jahre gemacht. Bloß als die zweite Tochter zur Welt kam, konnten wir das nicht mehr machen, das wurde uns zu kompliziert. Aber die ersten zwei  Jahre in Nowosibirsk haben wir alle Zyklen mitgemacht. Säen, anbauen, Unkraut jäten, gießen, ernten.


- Gemüse eingemacht?
-Alles! Es stehen immer noch ein paar Gläser mit Sachen, die wir damals eingemacht haben, in unserem Vorratsschrank. Warenje (Konfitüre) haben wir auch gemacht. Um in Sibirien erfüllt zu leben, musst du die Sachen mitmachen. Im Herbst Pilze sammeln. Das war ein ganzes Ritual. Mein Mann geht sehr gerne Pilze sammeln, ich auch. Im Sommer geht man baden.
- Dein Prinzip ist also mitzumachen?
-Wenn es geht. In China zum Beispiel funktioniert es nicht. Sich in China in die Bevölkerung zu integrieren ist schwerer als in Russland. Und das ist der Vorteil für Russland. Weil die Russen uns als ihresgleichen schneller akzeptieren.  Ich hatte wirklich nie das Gefühl, dass meine Kollegen, meine Freunde mich als Ausländerin sehen. Obwohl es auch mal schön ist, Ausländer zu sein. Ich spreche zwar Russisch nicht perfekt, aber ich bin ein Mensch. Der einzige Unterschied ist wirklich nur die Sprache, kulturell haben Deutsche und Russen nicht so wahnsinnig große Unterschiede wie Deutsche und Chinesen. Ich habe da auch meine Erfahrung. Ich kann zwar Chinesisch sprechen, Kontakte aufbauen, aber sich wirklich zu integrieren ist fast unmöglich. Peking ist so eine Großstadt, in der nur das Großstadtleben stattfindet. Und Nowosibirsk hat einen ruralen Anteil. In dem Sinne, dass alle im Sommer raus fahren, auf ihrer Datschas, egal wie klein die ist. Im Winter ist man sehr viel drinnen, im Sommer draußen. Und damit verbindet sich eine Menge, kulturell und sozial. Man lädt Freunde zu sich ein, man macht Schaschlik, wenn man eine Banja hat, um so besser. Wir waren also auf vielen Datschas, in vielen Banjas.
-Möchtest du irgendwann auch eine Banja haben?
-Unbedingt! Das ist mein Traum. Wenn wir mal länger in Deutschland sind, bauen wir unbedingt eine Banja.
-Keine Sauna?
-Nee. Es soll ein Holzofen sein, dieser Geruch von Holz gehört dazu. Wir lassen uns Zeit, aber wenn es soweit ist, bauen wir unbedingt eine. Was wir von Sibirien mitnehmen, sind eben die Gedanken über die Banja.
-Wichtig ist dabei aber, auf keinen Bären zu stoßen. Mein Vater lebt in einem Dorf 250 km von Nowosibirsk entfernt, und da hat er schon mal beim Pilzesammeln einen Bären gesehen.
-Wir fahren nicht so weit weg. Da sind wir schon vorsichtige Menschen. Wir machen alles mit, aber wir übertreiben nicht. Weiter als 100 km von der Stadt fahren wir nicht weg. Für die Pilze reicht es. Auch Ski fahren. Wenn man hier ist, und sein Leben angenehm gestalten möchte, muss man gerne die Dinge tun, die hier zu erleben sind. Wenn man kein Skifahrer ist, nicht gerne Pilze sammelt, auch nicht gern im Garten arbeitet oder Schaschliki grillt, wenn man keine Banja mag, ist Nowosibirsk nicht der richtige Ort.
-Nowosibirsk ist also nichts für richtige Städtler?
- Für richtig urbane Menschen ist Nowosibirsk meiner privaten Meinung nach nicht der richtige Ort, weil die Stadt zu klein ist, um sich nur darauf zu beschränken und zu weit weg ist, um schnell irgendwo anders zu sein. Du kannst natürlich schnell nach Tomsk, aber dort ist noch weniger städtisches. Das heißt, die nächste Großstadt ist entweder Moskau oder Astana.
-Oder Berlin?
- Oder Berlin. Oder Peking. Da kann man sich überlegen, ob ich 4 Stunden nach Moskau oder 4 Stunden nach Peking fliege. Ich stelle fest, dass man in Nowosibirsk Zeit braucht, um die Stadt richtig zu entdecken. Zum Beispiel in Peking hatte ich das Gefühl, dass Informationen, was es da alles gibt, irgendwie schneller zu mir kommen. In Nowosibirsk gibt es viel mehr als man denkt. Die Infos bekommt man übers Internet, Reklame, Freunde. Aber dafür braucht man Zeit. Es gibt viel tolle Dinge, wie zum Beispiel dieses Zedernfass „Praskowja“ (Fasssauna), das du mir empfohlen hast.
- Hat es gut getan?
- O ja! Ich ärgere mich nur, dass ich das erst so spät, kurz vor unserer Abreise entdeckt habe. Das Zedernfass, die Massage, der Kräutertee: davon war ich fasziniert. Die Stimmung da fand ich total gut. Da reden alle so freundlich und fragen, wie es mir da in dieser Zederntonne geht, ob ich es noch aushalten kann. Wenn ich hier länger leben würde, hätte ich ein volleres Bild, aber dafür braucht man Zeit. Wir haben wirklich jedes Jahr was Neues entdeckt. Mit dem Skifahren  habe ich erst hier  intensiv angefangen.

Sajeltzowsky Park

-Im Sajeltzowsky Park bestimmt?
-Ja, klar. Der liegt sehr günstig. Da wundert man sich, wie viele Leute unterschiedlichen Alters dort unterwegs sind und alle so fit. Wir waren die langsamsten. Und bald fahren wir in die „sibirische Schweiz“, in Masljaninsky Rayon, wo wir uns alles angucken werden, ein Skigebiet, Schulen, Schwimmbäder. Es ist wirklich so, dass jedes Jahr eine Bereicherung für uns war.
-Könntest du dir vorstellen, dass du all das ohne dein Russisch entdecken konntest?
- Ich weiß nicht. Ich habe auch deutsche Kollegen, die hier leben und kein Russisch kennen, aber trotzdem kommunizieren sie und entdecken die Stadt. Da geht schon. Aber ich habe wirklich das Glück, dass ich Russisch kann. Das beruhigt irgendwie. Und über die Sprache schlüpfst du in die Atmosphäre rein, ins Leben normaler Leute.
-Was war denn dein erster negativer Eindruck von Nowosibirsk? Was ärgert dich an Nowosibirsk?
- Der Ort, der mich am meisten ärgert, ist der Zirkus. Wir gehen dorthin relativ oft, weil die Kinder gerne im Zirkus sind. Aber ich ärgere mich jedes Mal schwarz. Echt teuer, schlechte Unterhaltung, nicht mehr akzeptabel. Die ganze Ästhetik fehlt da, wenn du im Stuhl sitzt, der fast auseinanderfällt und guckst, wie Tiere gepeitscht werden. Aus meiner Kindheit kenne ich den Zirkus als Zauberort, ich habe den immer geliebt. Als ich in Amsterdam studiert habe, habe ich da mal ein Zirkusfestival besucht, wo in einem Park halt alte Zelten aufgestellt waren. Nicht das eine große, sondern mehrere kleine. Es war nicht unbedingt, das es in jedem dabei ein großes Wow gegeben hat. Akrobaten, Tiere. Interessanter war, dass da nach alten Rezepten gekocht und gebacken wurde. Es war so schön, alte Gerichte und Getränke zu probieren.
- Ein Fest der Seele also?
--Stimmt. Es war schön, in alte Zeiten unterzutauchen, zu feiern, wie früher gefeiert wurde. Das war eine Art Zauber. Und dieser Zauber fehlt mir im Zirkus in Nowosibirsk.
-Und im Alltag?
- Im Alltag? Schwer zu sagen, ob mich da was ärgert. Vielleicht der Straßenverkehr. Und die Rücksichtslosigkeit. Es ist eine rücksichtslose Gesellschaft. Im kleinen, familiären Bereich gar nicht, aber im öffentlichen Leben schon. Wie sich die Leute auf der Straße anschimpfen können, mit ganz primitiven Wörtern. Leute, die sich gar nicht kennen. Da denkt man sich, wie unmenschlich es manchmal wirkt. Da denke ich manchmal, wie so denn in so und so einer Situation einer nicht netter sein könnte. Nicht übertreiben, aber halt zivilisierter.
- Interessant zu beobachten, dass der, der schimpft, ein Geschäftsmann im teuren Anzug sein kann und ein Obdachloser.
- Ja, man ist auf sich selber konzentriert und achtet weniger auf die Umwelt, der Rest ist egal.
- Hängt das mit der Identität zusammen?
- Ja, ich sehe es so. Wenn ich mir überlege, dass die Stadt erst 120 Jahre alt ist, dann ist es klar, woher soll denn die Verwurzelung und die Identität herkommen? Die kann noch nicht da sein. Das kommt nicht in ein paar Jahren.
- Das mit der Identität, da hast du recht. Ich blogge über Nowosibirsk auf Deutsch. Das mache ich in der Regel schon in der Nacht, wenn mein Sohn schläft. Warum opfere ich den Schlaf? Nur weil ich den Deutschen über meine Heimatstadt erzählen möchte? Ich habe erst vor kurzen verstanden, dass indem ich über Nowosibirsk erzähle, entwickle ich für mich selber diese Identität. Es ist wichtig für mich selber zu verstehen, was ist denn dieser Ort, in dem ich lebe. Deshalb finde ich das toll, dass du das Thema „Identität“ hier angesprochen hast. Meine nächste Frage wäre  dann, welchem Menschentyp würdest du empfehlen, nach Nowosibirsk zu kommen?
- Bestimmt nicht richtigen Städtern. Es müssen Leute sein, die eine gewisse Verbundenheit zur Natur haben. Abenteuerlustige. Es müssen Leute sein, die gerne durch die Gegend mit dem Kompass in der Hand laufen. Für die ist hier ein richtiges Paradies. Es gibt hier unzählige Wälder. Für solche Menschen ist Sibirien wirklich ein Paradies, wo du in der wilden Natur sein kannst, wo du wirklich keinen einzigen Menschen siehst, nicht diese Wanderwege mit diesen komischen Zeichen. Ich bin ein Wanderwegfan, wo du wandern kannst, aber auch in eine Raststätte einkehren, etwas essen. Das ist was typisch deutsches, hier gibt es keine Infrastruktur dazu. Das entwickelt sich langsam in Russland, aber ist noch unterentwickelt. Wenn du das aber nicht brauchst, nur das Feld und das Lagerfeuer, dann ist Sibirien für dich. Besonders wenn du nicht nur das Dorfleben leben willst, sondern auch schnell ins Großstadtleben zurück, so ist Nowosibirsk dann perfekt.
-Und was dann kulturelle Ereignisse angeht?
-Klassische Theater und sehr gutes Ballett. Bei den Theatern meine ich jetzt das „Krasny Fakel“, das Afanassjew-Theater oder Globus. Aber für die muss man Russisch können. Ohne Sprache geht es fast nicht.
- Dann bleibt nur das Opernhaus für Gäste aus Deutschland.
- Ja, ich würde das Ballett empfehlen. Die Oper beeindruckt mich nicht so sehr, aber ich bin an sich kein Opernfan.
- Russen sind nicht in der Oper stark, sondern im Ballett.
- Ne, das liegt eher an der Akustik hier, da habe ich Probleme damit. Das stört nicht beim Ballett, wenn besonders die Technik so gut ist. Und die Technik ist schon auf einem sehr hohen Niveau.
- Kann sein, dass deine ältere Tochter dann in 10-15 Jahren auf der Bühne in unserem Opernhaus auftreten wird.
- Mit ihren 4 Jahren geht meine Tochter sehr gerne in die Ballettschule, und die ist sehr gut. Da ist eine gesunde Mischung aus streng und frei. Das finde ich toll. Und das ist auch das, was wir vermissen werden. Neben Kindergärten bietet Nowosibirsk schon viel im Bereich Ausbildung für Kinder. So viel ich weiß, macht dein Sohn auch was mit der Animation. Also in Fragen Musik, Tanz, Singen gibt es genügend Möglichkeiten für Kinder. Mein persönlicher Lieblingsort ist das Kino Pobeda.
- Was sagst du zur Malerei in der Stadt?
- Schwierig. Im Vergleich zu anderen asiatischen Städten ist die Kunstszene in Nowosibirsk begrenzt.  Es gibt ein paar etablierte Künstler, aber keine pulsierende Kunstszene. Ich würde das mit der Ausbildung zusammenbringen. Man muss halt solche Leute ausbilden. Es gibt in Nowosibirsk eine gute Architekturakademie, die solche neue Talente ausbilden könnte.
-Meine vorletzte Frage also, was wäre denn ein durchschnittlicher Nowosibirsker für dich? Kann man da überhaupt verallgemeinern?
- Sehr schwierig. Nowosibirsker sind so sehr unterschiedlich. Auch rein ethnisch. Es sind sehr viele Zugewanderte oder Nachfahren von Wissenschaftlerfamilien oder von Verbannten.
 - Stimmt. Ich habe polnische, ukrainische, weißrussische Wurzeln.
- Ja, die meisten, die ich kenne, haben gemischte Wurzeln, von Jakuten und Tatarenblut bis Kasachen und Ukrainer, Usbeken mit Tadschiken gemischt. In dem Sinne gibt es keinen durchschnittlichen Nowosibirsker.
 - Gibt es aber vielleicht was Gemeinsames?
 - Durchhaltevermögen und Optimismus. Unternehmungslust. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Leute hier träge sind. Da sind die energisch, machen viel.
- Klar, man muss sich doch erwärmen.
- Ja, vielleicht. Ein bisschen dickköpfig können sie auch sein, nach dem Prinzip „so haben wir es schon immer gemacht, so wird es weiter gehen“. Das sehe ich als eine bestimmte Begrenzung der Offenheit.
- Da ist viel Hoffnung auf die, die jetzt etwa 25 sind. Die haben sich keine Grenzen gesetzt, sind offen, hören gut zu.
- Genau. Ich merke das an der Bar „Friends“, die hören wirklich auf die Besucher und können auch Englisch, weil sie bewusst Ausländer anziehen, die werden bestimmt keine Probleme mit der Klientel haben. Ich bin gespannt wie sich Nowosibirsk in den nächsten 10 Jahren entwickeln wird. Ich schätze, dass die Veränderungen viel schneller und intensiver sein werden als in vielen anderen Teilen der Welt. Das ist eben auch typisch Sibirien.
- Also, vielen Dank Julia für das Gespräch. Komm mal in 10 Jahren vorbei!
Eröffung der Ausstellung für energiesparende Technologien